Präsident Tito
Jugoslawien 1968. Diktator Josip Broz "Tito" ist gerade das 4. Mal zum Staatspräsidenten gewählt worden. Der Kalte Krieg ist in vollem Gang, Jugoslawien steht zwischen den Fronten. Inflation, Arbeitslosigkeit und Zahlungsbilanzdefizite dominieren die Wirtschaft. Die Regierung ist dringend auf Kapital angewiesen und versucht deshalb verzweifelt, Auslandsinvestitionen anzuziehen.
Erreichen wollte die Staatsführung dies einerseits durch eine vertiefte Förderung der bereits erfolgreichen Tourismusbranche, andererseits dadurch, dass sie anderen Ländern eine Partnerschaft mit staatlichen Unternehmen zu grosszügigen Konditionen anbot.
Das wahrscheinlich imposanteste Projekt, welches aus dieser Strategie in den 70er Jahren hervorging, war die Hotelstadt Haludovo.
Hotelstadt
Haludovo
Karte
Dem Architekten Boris Magaš wurde im Frühjahr 1968 die Aufgabe zuteil, den Bau des wahrscheinlich extravagantesten unternehmerischen Projekts zu leiten, das jemals in einem kommunistischen Land durchgeführt wurde. Ein 25 Hektar grosses Grundstück auf der Insel Krk im Adriatischen Meer wurde ihm dafür zur Verfügung gestellt. Magaš war bereits vor seinem Mitwirken am Projekt Haludovo dafür bekannt, wichtige Gebäude in Jugoslawien entworfen zu haben. Eines davon war beispielsweise das "Revolutionsmuseum" in Sarajevo. Wie bei vielen seiner Aufträge wurde Magaš auch 1968 von Ehefrau und Architektin Prof. Olga Magaš unterstützt.
So entstand nach knapp vier Jahren Bauzeit etwas ausserhalb der Küstenstadt Malinska ein Resort, dem es an nichts fehlte. Das Herzstück des Komplexes bildete das Fünf Sterne Palace Hotel. Daneben bestand die Anlage aus dem Tamaris Hotel für etwas weniger finanzstarke Gäste und der Imitation eines Küstendorfes inklusive Hafen, Restaurants und einem möglichst naturecht angelegten Badestrand – heute einer der schönsten Strände Malinskas. Für die Unterhaltung zukünftiger Gäste standen ausserdem Tennisplätze, eine Bowlingbahn, eine Minigolfanlage, Wassersportmöglichkeiten, Geschäfte, Saunen und Schwimmbäder bereit. Finanziert wurde das Ganze vom staatlichen jugoslawischen Unternehmen Hoteli Brodokomerc aus Rijeka.
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Bob Guccione
Knapp ein Jahr nach der Fertigstellung des Hotelkomplexes kündigte Brodokomerc überraschend ein Joint Venture mit dem amerikanischen Unternehmer Bob Guccione an. 45 Millionen US-Dollar investierte der Geschäftsmann in einen 21-jährigen Pachtvertrag für die Hotelanlage. Das entspricht heute etwa 250 Millionen Dollar. Grund für diesen Deal war v.a. die Hoffnung, damit viele reiche Kunden aus dem Westen anzulocken. Und diese Hoffnung sollte erfüllt werden.
Als Gründer und Inhaber des Männermagazins Penthouse – damaliger Hauptkonkurrent von Hugh Heffners "Playboy" – veränderte Guccione das Image des Haludovo Hotelkomplexes grundsätzlich. In nur einem Jahr machte er es zum exklusivsten Luxusresort der östlichen Adriaküste und dem bevorzugten Reiseziel der Reichen und Schönen, Kasinogänger und Politiker aus aller Welt. Eine der grössten Veränderungen war sicherlich die Umgestaltung des Atriums in der Mitte des Palace Hotels. Während Magaš dort vor einem Jahr noch einen entspannenden Loungebereich mit hängenden Gärten kreiert hatte, so verwandelte Guccione es nun in sein persönliches "Penthouse Adriatic Club Casino".
Sein Plan war es, ganze Flugzeuge voll mit Glücksspielern aus der westlichen Welt nach Malinska in sein Kasino zu fliegen. Dass sowohl exzessives Glücksspiel als auch das sehr kapitalistische Image von Penthouse eigentlich so gar nicht in das vorherrschend sozialistische Weltbild des damaligen Jugoslawiens passte, störte die jugoslawische Regierung überraschenderweise kaum. Grund dafür ist wahrscheinlich die Tatsache, dass es der Lokalbevölkerung nicht erlaubt sein würde, das Kasino zu besuchen, wodurch folglich auch nicht die Gefahr bestand, dass sie sich mit dem "kapitalistischen Virus" infizieren.
Womit allerdings viele konservative Einheimische des Landes definitiv ein Problem hatten, waren Gucciones sogenannte Penthouse "Pets".
50 junge Frauen hatte der New Yorker als Hostessen, Kellnerinnen und Croupiers eingestellt, um seine zukünftigen Gäste zu unterhalten. Alle gekleidet in knappen französischen Dienstmädchenuniformen. Die meisten von ihnen wurden von Penthouse aus Amerika eingeflogen, jedoch arbeiteten auch ein paar einheimische Frauen als "Pets".
Letztere für den Job zu rekrutieren erwies sich besonders zu Beginn als schwierig. Viele Familien sahen einen solchen Job als geschmacklos an und verboten ihren Töchtern, diesen auszuüben. Auch waren sich viele jugoslawische Jobanwärterinnen aufgrund der Arbeitsoutfits und des Penthouse Rufs nicht ganz sicher, was dieser Job alles beinhalten würde und entschieden sich schlussendlich gegen eine Anstellung. Die wenigen, die trotz alledem zusagten, taten dies meist aufgrund des grosszügigen Gehalts.
"Pet Mother" Heather Martin zum Beispiel war damals die bestbezahlte Frau in ganz Jugoslawien. In einem Interview mit BBC 1972 erklärte die Engländerin, dass der Grund für den holprigen Start mit den einheimischen Pets neben der Sprachbarriere v.a. die Tatsache gewesen sei, dass die sexuelle Revolution in Jugoslawien noch nicht stattgefunden hatte. Die Mädchen seien es nicht gewohnt gewesen, ihre Beine zu rasieren oder so viel Haut zu zeigen.
Innerhalb kürzester Zeit gelang es Penthouse als Pächter, dem Haludovo Palace Hotel seinen eigenen, unverkennbaren Stempel aufzudrücken. Wie Hauptarchitekt Boris Magaš dem Architekturmagazin "Časopis arhitektura" in einem Interview mitteilte:
Als ich den Garten in der Mitte des Palace Hotels mit einer Skulptur von Fran Krsinic entwarf, fiel mir nicht im Leben ein, dass er einmal ein Teil der Welt von Penthouse, Casinos und Pets sein würde. Haludovo hatte tatsächlich zwei Eröffnungen, unsere und die von Penthouse. Als das Hotel gegründet wurde, wusste ich nicht einmal, wer Bob Guccione war.
Boris Magaš, Časopis arhitektura, Ausgabe 116, 1972
Zunächst schien es, als hätte Gucciones Timing nicht besser sein können. 1967 hatte Jugoslawien die Visumspflicht für ausländische Touristen aufgehoben und somit seine Tore zur Welt geöffnet. Drei Jahre später, im Mai 1970, öffnete der Rijeka International Airport auf Krk seine Pforten – nur 12 Minuten von Malinska entfernt.
Auch für die Eröffnung eines Kasinos in Jugoslawien war der Zeitpunkt gut gewählt. Da sich das Land mit der Glücksspielindustrie kaum auskannte, profitierten Kasinobesitzer zu dieser Zeit von der Tatsache, dass man ihr Geschäft nicht besteuern konnte, weil es noch kein Gesetz gab, auf dessen Grundlage eine solche Besteuerung hätte erfolgen können.
So stand einer erfolgreichen Eröffnung nichts mehr im Weg. Am 15. Juni 1972 war es soweit. Guccione hatte die Presse, einige hohe Tiere der jugoslawischen Regierung und sogar bereits einige amerikanische Gäste zur Einweihungsfeier eingeladen. Diese ging laut einem Fernsehbericht der BBC allerdings eher kläglich zu Ende. Zwar wurden die Spieltische im Kasino feierlich eingeweiht und Guccione konnte stolz seine Armee an Penthouse Pets präsentieren, doch nach seiner Eröffnungsrede auf der Terrasse des Palace Hotels mussten die zahlreichen Gäste vor einem adriatischen Wolkenbruch flüchten. Anschliessend tauchten Stromausfälle das Hotel in absolute Dunkelheit.
Nichtsdestotrotz stellte sich nach der Eröffnung sofortiger Erfolg ein. Ab dem 3. Juli 1972 landete jeden Mittwoch eine Boeing 737 mit 150 bis 170 ausländischen Gästen am Rijeka International Airport. Dafür hatte Guccione allerdings auch über 500'000 US-Dollar in grossflächige Werbung investiert. Beispielsweise publizierte Penthouse in seiner Juni-Ausgabe einen ausführlichen Artikel über das "Penthouse Adriatic Club Casino" auf vier Doppelseiten.
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Auch das Interesse der nicht hauseigenen Medien war von Beginn an gross. So produzierte eine Filmcrew aus Belgrad unter der Leitung der beiden serbischen Regisseure Jovan Acin and Dejan Karaklajic eine 12-minütige Dokumentation der Eröffnungsfeier mit dem Namen "Mi ne prodajemo holivud" (We Don't Sell Hollywood).
Der Artikel der Belgrader Wochenzeitung NIN (Nedeljne informativne novine) folgte wenige Tage später. In England schaffte es das sozialistisch/ kapitalistische Kooperationsprojekt Haludovo sogar mehrmals in die BBC News.
Natürlich wusste Guccione auch diesen Medienwirbel zu seinem Vorteil zu nutzen. Bald schon verbreitete sich die Nachricht, der millionenschwere Verleger hätte das Projekt Haludovo nur in Angriff genommen, um seinen Teil zum Weltfrieden beizutragen. Ost und West, langjährige Feinde des kalten Krieges, sollten im unerwartet kapitalistischen Luxus des sozialistischen Jugoslawiens zusammenkommen und bemerken, dass sie doch gar nicht so verschieden waren. Soweit Gucciones Plan.
Bereits bei der Eröffnungsfeier stellte er seine Penthouse Pets als "the peace forces of the new world" vor:
We are not selling Hollywood and we're not selling the european stars. We're selling yugoslavia. The young ladies that you see around you here, are a new kind of peace choir. The little soldiers of the cold war. A little round of applause to our pets. Our soldiers.
Bob Guccione, Juni 1972
Einem Journalisten der NIN erklärte er anschliessend in einem Interview:
There are still false ideas about Yugoslavia as a country behind the "Iron Curtain," [as a country] in which a businessman or someone looking for entertainment would find nothing. The Penthouse, too, faces many prejudices, doubts and a lack of understanding. We are called non-serious exhibitionists and pornographers, incapable of and disinterested in any serious business. I think that all this is, above all, a result of ignorance. Even the cold war itself is a consequence of ignorance. In order to defeat ignorance, it is necessary to develop communications between people. In this connection tourism is certainly one of the most powerful forms of communication. Through the realization of this project [the Penthouse Adriatic on Krk] we have the opportunity to start a big process of re-education: we have become partners in removing doubts and ignorance.
Bob Guccione, im Interview mit NIN, 1972
Gucciones Marketing Strategie schien aufzugehen. Sein angeblich altruistischer Hintergedanke kurbelte das Interesse der Medien sowohl am Haludovo Palace Hotel als auch an seiner Persönlichkeit noch einmal mächtig an.
One of the Italian magazines pointed out - or rather intimated that penthouse is out to win the cold war with sex. And I think that in the end, isn't it better to do it with sex and love and beautiful girls than with guns? It makes a hell of a lot more sense to me that way.
Bob Guccione, im Interview mit BBC, 1972
Bald schon hatte sich die Hotelstadt Haludovo zu einem prestigereichen, dekadenten Luxusresort entwickelt, welches prominente Gäste aus aller Welt nach Malinska lockte.
Neben dem schwedischen Premierminister Olof Palme, seinem italienischen Pendant Silvio Berlusconi oder Henry Ford II – dem damaligen Präsidenten der Ford Motor Company – war Iraks Präsident Saddam Hussein wohl einer der bekanntesten Gäste Haludovos. Als Ehrengast des Hotels soll er mehrere Nächte in der Deluxe Mahagoni Suite verbracht haben, angeblich mit einem Penthouse Model. Bekannt ist auch sein legendäres Trinkgeld an eines der Penthouse Pets in Höhe von 2000 US-Dollar. Eine weitere Geschichte aus der damaligen Klatschpresse gibt an, dass Husseins Rückflug nach Bagdad anscheinend verschoben werden musste, weil sein Sohn seine goldene Pistole unter dem Kopfkissen in seiner Suite vergessen haben soll.
Wenn es darum ging, seine Gäste zu unterhalten, scheute Bob Guccione keine Kosten. In den Monaten nach der Eröffnung wurden angeblich jeden Abend rund 100 kg Hummer, 5 kg Kaviar und hunderte Champagnerflaschen konsumiert. Es kursierte sogar das Gerücht, das Hotel habe für einen besonderen Anlass ein ganzes Schwimmbecken mit Champagner gefüllt.
Cover der Speisekarte
Auch die Form des Glücksspiels, welche im Adriatic Club Casino Anwendung fand, war geldtechnisch eher riskant. Die Glücksspieler, welche mit extra dafür bereitgestellten Charterflugzeugen aus Amerika, England oder Frankreich eingeflogen wurden, sollten weder für Unterkunft noch für Verpflegung aufkommen. Dies, da man davon ausging, sie würden anschliessend im Kasino so viel Geld verlieren, dass alle Kosten damit wieder kompensiert sein würden.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich herausstellte, dass ein derart dekadenter Lifestyle schwer aufrecht zu erhalten war. Knapp ein Jahr nach seiner Eröffnung ging das Penthouse Adriatic Club Casino pleite und musste schliessen. Mit dem Kasino verschwand auch Guccione – nun ebenfalls kurz vor dem Bankrott – von der Bildfläche. Die Hotelanlage jedoch blieb weiterhin unter der Leitung des jugoslawischen Arbeiterrats bestehen. Denn auch wenn Guccione vor Presse und Gästen gerne so auftrat, als ob der gesamte Hotelkomplex ihm gehörte, so verbat es ihm doch das jugoslawische Wirtschaftsmodell der Arbeiterselbstverwaltung das Resort direkt zu besitzen oder zu leiten.
» Mehr Infos zur Arbeiterselbstverwaltung
Das Unternehmensmodell der Arbeiterselbstverwaltung, welches in den 50er Jahren in Jugoslawien eingeführt wurde, sieht vor, dass jedes Unternehmen von einem Arbeiterrat anstelle eines Managers oder Besitzers geführt wird. Dieser stellt sicher, dass jeder Arbeitnehmer in einem System der direkten Demokratie bei jeder das Unternehmen betreffenden Entscheidung mitbestimmen kann. Bei grösseren Unternehmen wird der Arbeiterrat in Departments unterteilt, basierend auf der Art der geleisteten Arbeit. Kleinere Entscheidungen werden so direkt im Department getroffen, während für firmenweite Entscheidungen ein Delegierter zur Repräsentation des Departments gewählt wird.
Trotz der Tatsache, dass der Hotelkomplex ohne das Penthouse-Label den Schlagzeilen mehrheitlich fernblieb, behielt er seinen Status eines high-end Resorts. Die Gäste blieben nicht aus und auch die Prominenz hatte dem Palace Hotel noch nicht den Rücken gekehrt. So drehte beispielsweise der brasilianische Fussballspieler Pelé auf dem Hotelgelände einen Werbespot für Pepsi. Den bosnischen Sänger-Songwriter Kemal Monteno traf man 1974 zusammen mit der damaligen Miss Adriatic am Pool des Palace Hotels. Und der Bürgermeister von Zagreb entschloss sich, sein Meeting mit einer Delegation kalifornischer Beamter bzgl. einer Zusammenarbeit im Tourismussektor im Haludovo Resort abzuhalten.
Doch das Hotel empfing nicht nur berühmte Gäste. Auch einige der Bands, welche man für musikalische Events auf der Terrasse des Hotels einfliegen liess, galten als ziemlich bekannt. Eine davon war die amerikanische Gesangsgruppe "The Golden Gate Quartet", welche ihren Auftritt im Hotel am 1. Juli 1975 hatte. Bis heute gehört die Gruppe zu den bekanntesten und erfolgreichsten Vertretern der Gospelmusik.
Weniger weltweit, aber dafür lokal sehr bekannt war auch die Rockband «Grupa EXODUS», welche seit 1973 mehrere Jahre lang für den Haludovo Hotelkomplex spielte. Einer ihrer Mitbegründer ist Ernest Mavrović, der damals als Kellner im Palace Hotel arbeitete und später viele Auftritte von Bands, die in Haludovo spielten, aufgezeichnet hat. Hier beispielsweise die Live-Aufnahme des Auftritts von "The Golden Gate Quartet" mit "The world is waiting for the sunshine" vom 1. Juli 1975.
Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus in den späten 80er Jahren hatten Unruhen in Jugoslawien zu bewaffneten Konflikten geführt. 1991 war das Land schliesslich vollends dem Krieg verfallen. Was später als Jugoslawienkriege oder auch Balkankriege in die Geschichte eingehen sollte, führte zunächst einmal dazu, dass Jugoslawien mit dem Tourismus sein wirtschaftliches Hauptstandbein verlor. Unzuverlässige Flughäfen, durch die Strassen rollende Panzerfahrzeuge und der konstante Geruch von Gefahr und Schiesspulver in der Luft sprachen nicht gerade für ein erholsames Urlaubsziel. Doch der nun leerstehende Hotelkomplex Haludovos erwies sich trotzdem als nützlich. Bald schon wurde er zur Notunterkunft für Kriegsflüchtlinge.
Knapp vier Jahre später hatte sich Jugoslawien in seine Teilrepubliken aufgelöst. Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina wurden ab sofort als eigenständige Länder anerkannt. Mit dem Kriegsende wurden auch die Flüchtlingslager aufgelöst und die temporären Bewohner des Haludovo Resorts erhielten Anweisungen, ihre vorübergehende Unterkunft zu verlassen. Viele Familien jedoch weigerten sich, den Hotelkomplex – der ihr neues Zuhause geworden war – einfach so wieder freizugeben und mussten schliesslich zum Ausziehen gezwungen werden. In ihrer Frustration liessen sie so ziemlich alles mitgehen, was nicht niet- und nagelfest war. Elektrogeräte, Wertsachen, Möbel – ja sogar Heizkörper, Kupferkabel, Steckdosen und Rohre fanden auf diese Weise einen neuen, unrechtmässigen Besitzer.
In der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurde der Hotelkomplex grob aufgeräumt und notdürftig neu möbliert, um erneut Gäste beherbergen zu können. Das Resort wurde ausserdem privatisiert und fiel so in die Hände des kroatischen Privatisierungsfonds. Franjo Tuđman, erster Präsident des neu unabhängigen Kroatiens benutzte diesen jedoch eigennützig dafür, staatliche Unternehmen wie die Hotelstadt Haludovo an Freunde und treue Unterstützer zu "verschenken". So funktionierte er kurzerhand den 1991 entstandenen Ableger der Firma Brodokomerc in die Aktiengesellschaft Hoteli Haludovo Malinska d.d., kurz HHLD, um.
Die damals etwa 27 Millionen Euro schweren Aktien vergab er anschliessend an seine Fürsprecher. Diese ahnten jedoch nicht, dass ihre neuen Wertpapiere in nur wenigen Jahren noch nicht einmal halb so viel wert sein würden.
Ein Jahr später fiel ein Grossteil der HHLD Aktien in die Hände des Unternehmers Bozidar Androcec. In einem Deal mit Tuđman wurde festgelegt, dass Androcec nach einer Anzahlung in Höhe von 2 Millionen Euro seine Aktien in Raten abbezahlen würde. Allerdings hatte der Geschäftsmann nie die Absicht, sich an diesen Deal zu halten. Stattdessen verkaufte er neun Gebäude der Haludovo Immobilien für 5,1 Mio. Euro, welche er an seine eigene Firma, Boman AG überwies. 1999 hatte Androcec auf diese Weise fast 30% seines Aktienanteils am Haludovo Hotel liquidiert, um seine persönlichen Schulden zu tilgen. Eine Ratenzahlung dafür bekam Tuđman nie zu sehen. Auch nicht, nachdem die Behörden intervenierten und Androcec zumindest davon abhielten, das einst so prunkvolle Haludovo Grundstück weiterhin zu zerlegen und verkaufen.
Unterdessen war das Haludovo Palace Hotel noch immer in Betrieb, hatte allerdings sehr mit dem Mangel an ausländischen Gästen zu kämpfen. Aufzeichnungen deuten darauf hin, dass das Hotel seine letzten Gäste an Neujahr 2002 empfangen hat. Danach musste es gezwungenermassen seine Tore schliessen. Die letzten Angestellten mussten entlassen werden. Viele erhielten dabei noch nicht einmal die Mindestabfindung.
Während der 2000er Jahre wurde der armenisch-russische Unternehmer Ara Abramyan zum Mehrheitseigentümer der Aktiengesellschaft Hoteli Haludovo Malinska d.d. Trotz mehrerer Bitten seitens der kroatischen Präsidentschaft vernachlässigte der damalige UN-Sonderbotschafter es, das Hotelareal durch Umbau oder Renovierung wiederzubeleben. Stattdessen überliess er das ehemalige Luxusresort Vandalen, Landstreichern, Graffitikünstlern und Urban Explorern bis auch die letzte Glasscheibe in Scherben am Boden lag und die Natur die Betonstadt langsam wieder zurückeroberte.
Erst 2018 startete Abramyan schliesslich einen halbherzigen Versuch, das, was vom einstigen Luxushotel noch übrig war, zu renovieren. Sein Projekt sah den Bau von 750 Wohnungen und einem Hotel mit 250 Betten vor.
Bei einer öffentlichen Anhörung im November wollte der Russe die Bevölkerung Malinskas von seinem Vorhaben zu überzeugen. Unglücklicherweise beinhaltete dies auch die Forderung nach der Privatisierung der kilometerlangen Küste vor Haludovo.
Wer für das schnelle Scheitern dieses Plans verantwortlich ist, darüber lässt sich streiten. Während Abramyan behauptet, die Schuld liege beim Staat, der sich weigerte, ihm für seine Investitionspläne die Konzession für den Strand zu erteilen, schiebt Malinskas Gemeinderat Robert Kraljić die Verantwortung zurück auf Abramyan. Niemand würde ihn schliesslich daran hindern, sein Vorhaben auch ohne die Privatisierung des Strandes umzusetzen. Es erübrigt sich, zu sagen, dass sich die beiden Parteien nicht auf einen Kompromiss einigen konnten. So wird Haludovo weiterhin dem Verfall überlassen.
Heute, nach fast 20 Jahren Vernachlässigung und Vandalismus ist kaum mehr etwas übrig vom Glanz der alten Zeiten. Glas, Fensterläden, Holzsplitter und Rohre bedecken den Boden. Die Rezeption in der Eingangshalle liegt herausgerissen im Treppenhaus zum Keller. Den Doppellift zu den Hotelzimmern zieren die verschiedensten Tags von Graffitikünstlern. Vom berühmten Penthouse Kasino ist nicht einmal mehr ein Pokerchip zu finden.
Und genau so empfängt das Palace Hotel, einstiges Herzstück des wahrscheinlich luxuriösesten und ehrgeizigsten Projekts in einem kommunistischen Land, heute seine "Gäste": Neugierige Touristen, die in Flip-Flops auf ihrem Weg vom Parkplatz an der einstigen Zufahrtsstrasse zum Strand einen Abstecher in die Ruinen wagen. Nostalgische Durchreisende, die ihre Erinnerungen an einen Urlaub längst vergangener Tage nochmals wachrufen möchten oder ihren Kindern und Enkeln zeigen wollen, wo man damals, vor nunmehr 50 Jahren seine Ferien verbracht hat. Hausbesetzer, die in der ehemaligen Mahagoni-Deluxe Suite, in der sich einst Saddam Hussein mit Penthouse Pets vergnügte, ihre nächste geheime Party planen. Und Urban Explorer, die sich mit Taschenlampe und Kamera bewaffnet auf die Suche nach einem längst vergessenen Stück Geschichte begeben …